Lärmbelastung für Motorradfahrer

 

Lärmbelastung für Motorradfahrer

 

 

1   Einleitung

 

Motorradfahrer sind unter ihrem Helm relativ hohen Geräuschbelastungen ausgesetzt. So wurden z.B. von Hüttenbrink Anfang der 80-iger Jahre bei Geschwindigkeiten ab 100 km/h Schalldruckpegel von mehr als 100 dB(A) gemessen [1]. In eigenen Untersuchungen gegen Ende der 80-iger Jahre ergaben sich vergleichbare Pegelwerte [2-4]. Dabei wurden für einen ungünstigen Helm bei sehr hohen Geschwindigkeiten Schalldruckpegel bis zu 120 dB(A) gemessen. Da sich das Angebot der Helme auf dem Markt inzwischen geändert hat und es verschiedene neue Studien gibt, soll hier der Frage nachgegangen werden, ob mit den neuen Helmen Pegelminderungen erreicht wurden und welche Geräuschbelastungen heute für Motorradfahrer anzusetzen sind.

 

 

2   Messverfahren

 

Bei der Ermittlung der Geräuschbelastung unter einem Helm ist jeweils zu berücksichtigen, dass der im Ohr gemessene Pegel nicht gleich dem üblicherweise außerhalb des Ohres zu messenden Pegel ist und die im Ohr gemessenen Ergebnisse deshalb einer Korrektur bedürfen (das wird in einem großen Teil der bisherigen Studien nicht beachtet!). Die Messung in der Ohrmuschel oder im Gehörgang ergibt aufgrund der Schallbündelung durch die Ohrmuschel und die Resonanz des Gehörgangs in einem weiten Frequenzbereich eine Überhöhung des Schalldruckpegels. Zur Durchführung entsprechender Geräuschmessungen unter Helmen, Kopfhörern oder mit Hilfe eines Kunstkopfes sei hier auf die Erläuterungen in dem Taschenbuch „Lärmmessung im Betrieb“ [5] verwiesen. Die Vorgehensweise bei den eigenen Geräuschmessungen für Motorradfahrer wurde in [6] ausführlich beschrieben.

 

Die Geräuschbelastung wurde dabei jeweils mit einem Miniaturmikrofon von rund 5 mm Durchmesser (Fa. Sennheiser) erfasst, das in einem kleinen Schaumstoff-Windschirm in der Ohrmulde platziert und durch Klebeband fixiert wurde (siehe Bild 1). Das Mikrofonsignal wurde über einen kleinen unter der Leder-Kombi getragenen Verstärker auf ein in der Seitentasche des Motorrads mitgeführtes Mess-Magnetbandgerät (NAGRA IV SJ) übertragen. Bei späteren Messungen kam ein digitaler Kassettenrecorder (DAT-Recorder, Sony PCM 2000) zum Einsatz, der wesentlich kompakter und leichter ausfällt.

 

 

Bild 1:  Befestigung des Miniaturmikrofons in der Ohrmulde  (Messungen im Jahr 1988)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Die bei unterschiedlichen Geschwindigkeiten aufgezeichneten Geräusche wurden anschließend im Labor jeweils in Terzbandbreite analysiert und um den Frequenzgang des Mikrofons und die Schalldrucküberhöhung durch die Messung in der Ohrmulde korrigiert. Der Frequenzgang des Miniatur-Mikrofons war bis zur Frequenz von 4000 Hz nahezu linear. Die Messung in der Ohrmulde machte Korrekturen von bis zu 6 dB bei 2000 bis 4000 Hz erforderlich (siehe Bild 2). 

 

 

Bild 2:  Individuelle Schalldrucküberhöhung bei Messung mit Miniatur-Mikrofon in der Ohrmulde bzw. im Gehörgang in Relation zur Messung im Diffusfeld

 

 

 

 

 

3   Messergebnisse

 

In der eigenen Untersuchung wurden zunächst 5 unterschiedliche Vollvisier-Helme für 2 Fahrer auf einer Honda CX 500 und einer BMW R 100 CS im Geschwindigkeitsbereich von 80 bis 150 km/h gemessen. Mit der BMW wurden zusätzlich die Geräuschbelastungen bei 180 km/h erfasst. Dabei ergaben sich je nach eingesetztem Helm bei einer Geschwindigkeit jeweils Pegelunterschiede von bis zu rund 15 dB(A). Bild 3 zeigt die entsprechenden Ergebnisse für den leisesten und den lautesten Helm. Zum Vergleich sind hier auch die Ergebnisse der Studie von Hüttenbrink [1] und aus der Studienarbeit von J. Müller und M. Görig [9] dargestellt.   

 

 

Bild 3:  A-bewertete Schalldruckpegel in Abhängigkeit von der Geschwindigkeit: 

eigene Messwerte für einen leisen und einen besonders lauten Helm, Ergebnisse von Hüttenbrink [1] sowie von Müller und Görig [9]

 

 

 

 

  

 

Ergänzend zur Untersuchung der ersten fünf Helme wurden in Zusammenarbeit mit der Motorrad-Zeitschrift "Tourenfahrer" 19 weitere Vollvisier-Helme auf einer BMW R 100 GS und einer vollverkleideten BMW K1 gemessen [3]. Mit der BMW K1 wurden dabei Geschwindigkeiten bis 220 km/h gefahren, wobei sich je nach Helm Schalldruckpegel von 109 bis 120 dB(A) ergaben. Die Ergebnisse im Geschwindigkeitsbereich bis 180 km/h lagen auch bei diesen Messungen alle innerhalb der durch die beiden Helme A und B beschriebenen Spanne. Die von Hüttenbrink [1] im Jahre 1982 präsentierten Ergebnisse fallen ebenfalls in diese Pegelspanne und liegen dabei eher im oberen Bereich. Im Jahre 1993 untersuchten J. Müller und M. Görig [9] in ihrer Diplomarbeit die Geräuschbelastung unter den verschiedenen seit Ende der 70-er Jahre angebotenen BMW-Helmen. Während die ersten BMW-Helme etwa im der Mitte der Pegelspanne zwischen leisen und lautem Helm liegen, wurden für den seinerzeit neuesten Helm „BMW-System 3“ bei allen Geschwindigkeiten um rund 5 dB(A) niedrigere Pegel als für den leisen Helm (nach Maue) gemessen. Kortesuo und Kaivola [7] präsentierten im Jahre 1996 die Ergebnisse für einen neueren Helm. Im Geschwindigkeitsbereich von 100 bis 160 km/h hatten sie Pegel von 97 bis 109 dB(A) gemessen, die damit nahezu mittig zwischen den eigenen Ergebnissen (Maue) für den leisen und den lauten Helm liegen. Nach einer von Kennedy et al. [8] im Jahre 2013 publizierten Studie ergaben sich für den von ihnen untersuchten Helm im Geschwindigkeitsbereich von 100 und 140 km/h Pegel von rund 102 bis 110 dB(A). Diese Ergebnisse liegen somit im oberen Bereich der in den eigenen Messungen ermittelten Pegelspanne, etwa bei den Ergebnissen von Hüttenbrink.

 

Rothhämel berichtet in seiner Dissertations-Arbeit [10] aus dem Jahr 2008 über Lärmminderungserfolge bei neu entwickelten Helmen. Dabei spricht er z.B. den von der Fa. Schuberth im Jahre 2002 entwickelten Helm S1 an [10]. Außerdem erwähnt er den von der Fa. Shoei im Jahre 2005 für ihren Premium-Helm XR1000 angebotenen Whisperstrip, einen "Akustikkragen", der die Geräuschbelastung deutlich senken sollte. Es liegen hierzu aber keine Messwerte vor. 

Zur genaueren Beschreibung der Geräuschbelastung unter den Helmen wurden in der eigenen Untersuchung jeweils Terzband-Frequenzanalysen durchgeführt. Bild 4 zeigt die entsprechenden Spektren für die beiden Helme A und B bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h. Danach ist die Geräuschbelastung unter dem Helm ausgesprochen tieffrequent, wobei sich die höchsten Schalldruckpegel jeweils im Frequenzbereich unterhalb von 500 Hz ergeben. 

 

Bild 4:  Terzbandspektren der Geräusche unter Motorrad-helmen bei der Geschwindigkeit von 100 km/h 

(A – lauter Helm; B – leiser Helm)

 

 

 

 

 

 

Leider haben sich bisher nur einzelne Helm-Hersteller intensiver mit der Lärmminderung beschäftigt, d.h. für den größten Teil der angebotenen Helme kann man auch heute noch mit nahezu derselben Lärmexposition wie unter den Helmen den 80-er Jahre rechnen. Wenn man nun für einzelne moderne Helme eine um vielleicht 5 bis 10 dB(A) geringere Lärmpegel annimmt, ergeben sich noch größere Unterschiede in den Schalldruckpegeln unter den einzelnen Helmen (siehe Bild 3). Darüber hinaus kann sich auch die Verkleidung des Motorrads auf die Belastung auswirken. Nach Rothhämel [10] kann man je nach Aufbau der Verkleidung bzw. der Scheibe mit einer Pegelminderung bis zu 5 dB(A) oder einer Pegelzunahme um bis zu 15 dB(A) rechnen. Aus diesen Gründen lässt sich die Geräuschbelastung unter dem Motorradhelm nur ganz grob abschätzen.

 

Bei einem leisen Helm kann man in Abhängigkeit von der Straße und der gefahrenen Geschwindigkeit heute vielleicht mit den in der folgenden Tabelle zusammengestellten mittleren Schalldruckpegeln LAeq rechnen:   

Kategorie der Straße / Geschwindigkeit

Mittlerer Schalldruckpegel LAeq

Stadt   (max. 60 km/h)

ca. 85 dB

Landstraße   (max. 100 km/h)

ca. 90 dB

Autobahn – langsam (max. 120 km/h)

ca. 95 dB

Autobahn – schnell (max. 160 km/h)

ca. 100 dB

 

Tabelle 1:  Abgeschätzte Schalldruckpegel für einen Motorradfahrer mit einem akustisch besonders günstigen Helm

 

Mit dem angenommenen leisen Helm lässt sich der allgemein als Grenze für die Gehörgefährdung angesetzte Schalldruckpegel von 85 dB(A) vermutlich bei Fahrten in der Stadt einhalten. Bei entspannter Fahrt auf der Landstraße bleibt man vielleicht noch im Bereich von 90 dB(A). Bei Autobahnfahrten wird man aber in der Regel wohl Schalldruckpegel von 100 dB(A) und mehr erreichen. Damit wäre schon nach einer Fahrzeit von ca. 15 Minuten eine gehörgefährdende Tagesdosis entsprechend einem Lärmexpositionspegel LEX,8h von 85 dB(A) erreicht. Mit den meisten Helmen muss man allerdings mit deutlich höheren Geräuschbelastungen rechnen.

Zur Frage der Gehörgefährdung sei auf die Fachinfo „Beurteilung von Gehörschadensfällen“ verwiesen.

 

4   Schallentstehung und Schutzmaßnahmen

 

Um die Geräuschbelastung unter dem Helm zu reduzieren, gab es schon abenteuerliche Versuche, weil man die eigentliche Lärmursache nicht richtig erkannte. So wurden z.B. Kegel hinten an den Helm angeklebt, um die Aerodynamik zu verbessern. Oder es wurde die Helmschale verstärkt, um die Schalldämmung zu erhöhen. Alles ohne nennenswerten Erfolg. Wie bereits in meiner Publikation in der Z. f. Lärmbekämpfung von 1990 [2] dargestellt, wird der Schall vor allem durch die Luftturbulenzen an der unteren Helmkante verursacht und kann bei den meisten Helmen über die Öffnungsfläche zwischen dem Hals und der Helmschale zum Ohr gelangen. „Dabei können möglicherweise schon kleine Änderungen an der Helmschale, z.B. an der Abrisskante im unteren Bereich des Helmes, oder eine Änderung der Abdichtung im Halsbereich, eine große Wirkung zeigen. Auch die Anpassung und Abdichtung des Visieres und die Gestaltung der Belüftungskanäle dürften von Einfluss sein.“ Das bestätigen nun auch neuere Studien, insbesondere die Arbeit von Rothhämel [10], der die Schallentstehung am Helm und die einzelnen Lärmquellen weitergehend analysiert und ausführlich beschrieben hat.

 

Die heute angebotenen leisen Helme zeichnen sich vor allem durch eine abgerundete Gestaltung der unteren Helmkante und eine gute Abdichtung zum Hals hin aus. Bild 5 zeigt drei Helme mit unterschiedlicher Qualität der Abdichtung, von weitgehend offen (alter Helm - links) bis ringsum geschlossen und abgerundete untere Helmkante (rechts). 

Bild 5:  Ansicht der Abdichtung zum Hals für drei Helme,

links: im vorderen Bereich weitgehend offen (alter Helm)

rechts: ringsum geschlossen und gerundete untere Helmkante

 

 

 

 

In meinem o.g. Artikel [2] hatte ich außerdem vorgeschlagen: „Bei der Gestaltung von Motorradverkleidungen müsste mehr darauf geachtet werden, dass die Luftströmung über den Helm geleitet wird und sich die Lärmbelastung für den Fahrer verringert. Um die bestmögliche Wirkung zu erreichen, wären ggf. Verkleidung und Helm aufeinander abzustimmen.“

 

Nach [10] wurden bei BMW Motorrad in den Jahren 2002 und 2003 systematische Untersuchungen zur Auswirkung der Verkleidungsscheibe auf die Lärmbelastung unter dem Helm durchgeführt. Dabei wurden Scheiben entwickelt, die nicht nur den Oberkörper vom Fahrtwind entlasten, sondern auch geringere Turbulenzen und Lärmpegel erzeugen.

 

Der Motorradfahrer selbst hat nach dem Kauf eines Helms nur noch die Möglichkeit, sich auf längeren Fahrten durch Verwendung von Gehörschutzstöpseln zu schützen. So kennt man das ja auch aus dem Automobil- und Motorradrennsport. Geeignet sind vor allem Gehörschutzstöpsel, die die tiefen Frequenzen wirksam unterdrücken. In der Praxis haben sich z.B. mehrfach verwendbare Stöpsel aus polymerem Schaumstoff bewährt. Diese Gehörschützer lassen sich in der Regel angenehm tragen, ohne ein stärkeres Druck- oder Fremdkörpergefühl hervorzurufen. Es sei aber auch erwähnt, dass die Straßenverkehrsordnung vom Fahrzeugführer verlangt, sein Gehör nicht durch „Geräte“ zu beeinträchtigen, vermutlich in der Absicht, dass er Warnsignale, wie Hupen und Martinshorn, noch gut wahrnehmen kann. Andererseits ist die Wahrnehmung von Signalen erst recht beeinträchtigt, wenn man sein Gehör bei der Fahrt vertäubt oder nach langjähriger Lärmbelastung schon geschädigt hat.

 

5   Schlussbemerkung

 

Motorradfahrer sind unter ihrem Helm hohen Geräuschbelastungen ausgesetzt, die bei häufigen längeren Fahrten über Jahre hinweg zu Gehörschäden führen können (siehe Fachinfo „Beurteilung von Gehörschadensfällen“). Da es inzwischen einzelne akustisch optimierte Helme gibt, empfiehlt sich die gezielte Auswahl eines leisen Helms. Je nach Helm kann die Geräuschbelastung um mehr als 15 dB(A) differieren. Den Fahrern sollte deshalb beim Kauf eines neuen Helms die Möglichkeit zu einer längeren Probefahrt gegeben werden, um zumindest besonders laute Helme erkennen zu können. Die Hersteller von Helmen sollten größere Anstrengungen unternehmen, um neue leisere Helme zu entwickeln. Auch bei der Entwicklung von Motorrad-Verkleidungen sollte der Aspekt der Lärmexposition des Fahrers stärker berücksichtigt werden.  

  

Literatur

[1] Hüttenbrink, K-B.: Lärmbelastung unter Motorradhelmen. Z. f. Lärmbekämpfung 29 (1982),        S. 182-187 

[2] Maue, J. H.: Lärmbelastung für Motorradfahrer – Messergebnisse und Schutzmaßnahmen. Z. f. Lärmbekämpfung 37 (1990), S. 15-19                                       

[3] Maue, J. H.: Geräuschmessungen unter Motorradhelmen. Tourenfahrer 5/1989, S. 7 

[4] Maue, J. H.: Noise exposure of motorcyclists. Audiology in practice VII/4 (1991), pp. 6-8 

[5] Maue, J.H.: Lärmmessung im Betrieb – Anleitung zur normgerechten Ermittlung der Lärmexposition am Arbeitsplatz und der Geräuschemission von Maschinen. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2011 

[6] Maue, J.H.: Meßverfahren zur Bestimmung der Lärmbelastung unter Motorradhelmen. TÜ Bd. 30 (1989) Nr. 9 – September, S. 330-333 

[7] Kortesuo, A. und Kaivola, R.: MOTORCYCLIST`S HELMET NOISE; A SOLUTION FOR ATTENUATION: Nordic Acoustical Meeting, Helsinki, 12-14 June 1996 

[8] Kennedy, J. et al.: On-road and wind-tunnel measurement of motorcycle helmet noise. J. Acoust. Soc. Am. 134 (3), September 2013, pp. 2004-2010 

[9] Müller, J.; Görig, M.: Messtechnische Analysen zur Ermittlung von konstruktiven Maßnahmen zur Verbesserung der Motorradhelm-Akustik. Diplomarbeit FH Wiesbaden / BMW Motorrad. 31.05. 1993

[10] Rothhämel, J.: Motorradhelmakustik – Mess- und Bewertungsmethoden. Mitteilungen aus dem Institut für Nachrichtentechnik der TU Braunschweig, Band 4, Shaker Verlag, Aachen 2008