Unsicherheit und Grenzwertvergleich

Beispiele für ermittelte Lärmexpositionspegel L mit Unsicherheit ΔL und Vergleich mit Grenzwert / Auslösewert (rote Linie)

Messunsicherheit und Vergleich mit Auslösewerten nach TRLV Lärm

 

Allgemeines

 

Zu einem vollständigen Messbericht bzw. einem Gutachten zur Lärmexposition gehört streng genommen auch eine Angabe der Messunsicherheit. Die Messunsicherheit ist insbesondere dann von Bedeutung, wenn der ermittelte Lärmexpositionspegel in der Nähe eines Auslösewertes liegt und entschieden werden muss, ob dieser unter- oder überschritten wird.

 

Die Unsicherheit der ermittelten Lärmexposition hängt vor allem von folgenden Einflussfaktoren ab:

  • Messgerät und Kalibrierung
  • Mikrofonposition
  • Erfassung der längerfristig typischen Lärmexposition 

Je nach Messgerät muss man mit mehr oder weniger großen Fehlerabweichungen rechnen. Für genaue Messungen empfiehlt sich die Verwendung von Messgeräten, die den Anforderungen der Klasse 1 nach DIN EN 61672 entsprechen. Schallpegelmesser der Genauigkeitsklasse 2 oder die hinsichtlich zulässiger Fehlerabweichungen damit vergleichbaren Personen-Schallexposimeter (Lärmdosimeter) nach DIN EN 61252 können sich insbesondere bei hochfrequenten Geräuschen größere Abweichungen ergeben.

 

Die Mikrofonposition ist von Einfluss auf die Messunsicherheit, weil es vielfach schwierig ist, den Bewegungen des Beschäftigten mit dem Mikrofon in der Nähe des Ohres zu folgen. Bei personengebundenen Messungen (Dosimetermessung) ergeben sich Unsicherheiten durch Schallreflexionen oder Abschattungseffekte durch den Körper des untersuchten Beschäftigten.

 

Schließlich muss man mit einer Unsicherheit bei der Erfassung der längerfristig typischen Lärmexposition durch die Stichprobennahme rechnen (begrenzte Messdauer, Zeitpunkt der Messung). Um diese Unsicherheit zu reduzieren, ist vor allem eine sorgfältige Arbeitsanalyse erforderlich. Bei der Messung ist zu beachten, dass alle relevanten Lärmexpositionen mit ihren zeitlichen Anteilen in die Berechnung eingehen (repräsentativer Arbeitstag) bzw. eine ausreichende Zahl an Stichprobenmesswerten aufgenommen wird.

 

Ermittlung von Genauigkeitsklassen

 

In Abhängigkeit von den o.g. Einflussfaktoren lässt sich nach DIN EN ISO 9612 [1] die Unsicherheit der ermittelten Lärmexposition bestimmen. Das relativ aufwändige Verfahren wird in meinem Taschenbuch „Lärmmessung im Betrieb“ [2] ausführlich erläutert. Als Hilfe dazu bietet sich ein Tabellen-Kalkulationsprogramm (Excel-Programm) an, das vom Deutschen Institut für Normung – DIN im Internet zur Verfügung gestellt wird. Die sachgerechte Anwendung dieses Programmes setzt allerdings die Kenntnis von verschiedenen Festlegungen in der DIN EN ISO 9612 voraus.

 

Nach der Ermittlung der Unsicherheit stellt sich die Frage, wie damit beim Vergleich mit einem Grenzwert umzugehen ist. So könnte man die Unsicherheit z.B. zum ermittelten Lärmexpositionspegel addieren und diese Summe mit dem Grenzwert vergleichen. Das würde jedoch letztlich eine Verschiebung der bestehenden Grenzen bedeuten, da hier bisher in der Regel keine Zuschläge für die Unsicherheit angewandt wurden.

 

Nach der früheren Messnorm zur Ermittlung des Beurteilungspegels am Arbeitsplatz, der DIN 45645-2 vom Juli 1997 [3], wurde der berechnete Beurteilungspegel (heute: Lärmexpositionspegel) für den Vergleich mit einem Grenzwert zunächst in die Genauigkeitsklasse 1, 2 oder 3 eingestuft. Diesen Genauigkeitsklassen des Ermittlungsverfahrens wurden per Konvention die Unsicherheiten von 0 dB, 3 dB und 6 dB zugeordnet. Die Besonderheit an dieser Vorgehensweise ist, dass man bei entsprechender Arbeitsplatzsituation oder höherem Messaufwand die Genauigkeitsklasse 1 erreichen und dann eine Unsicherheit von 0 dB annehmen kann. D.h. der ermittelte Beurteilungspegel bzw. Lärmexpositionspegel kann unmittelbar mit den entsprechenden Grenzwerten verglichen werden (kein Unsicherheits-Zuschlag!), so dass immer eine eindeutige Entscheidung möglich ist, ob der Grenzwert eingehalten ist.

 

Mit Blick auf dieses Verfahren der DIN 45645-2 (7/1997) [3] hatte ich in dem Lärmschutz-Arbeitsblatt LSA 01-400 vom Oktober 2007 [4] ein entsprechendes Verfahren für den Grenzwertvergleich vorgeschlagen. Dieses Verfahren konnte auch in die im Jahre 2010 herausgegebenen Technischen Regeln zur Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (TRLV Lärm) [5] eingebracht werden.

 

Bei dem damit in den Technischen Regeln TRLV Lärm festgeschriebenen Verfahren ist der gewonnene Lärmexpositionspegel in Abhängigkeit von den nach DIN EN ISO 9612 ermittelten Unsicherheiten zunächst einer Genauigkeitsklasse 1, 2 oder 3 zuzuordnen. Die Tabelle 1 definiert die Genauigkeitsklassen in Abhängigkeit von der kombinierten Standardunsicherheit u des Tages-Lärmexpositionspegels. Die hier gewählte Stufung der kombinierten Standardunsicherheit 2 dB, 4 dB und 6 dB orientiert sich an der in der DIN 45645-2 (1997) für die Genauigkeitsklassen festgelegten Klassierung. Zur Ermittlung der Standardunsicherheit sei auf mein Taschenbuch „Lärmmessung im Betrieb“ [2] verwiesen.

 

Tabelle 1:    Unterscheidung von Genauigkeitsklassen in Abhängigkeit von der nach DIN EN ISO 9612 ermittelten kombinierten Standardunsicherheit u

 

Genauigkeitsklasse

1

2

3

Kombinierte Standard-

unsicherheit u

(DIN EN ISO 9612)

 

≤ 2 dB

 

≤ 4 dB

 

≤ 6 dB

 

 

 


Genauigkeitsklasse nach vereinfachtem Verfahren

       

Da die Bestimmung der Unsicherheit nach DIN EN ISO 9612 mit einem relativ hohen Aufwand verbunden ist, bestand bei der Erstellung der Technischen Regeln TRLV zum Lärm ein Interesse an einem vereinfachten Verfahren für die Ermittlung der Genauigkeitsklasse und den Grenzwertvergleich. Dazu ließ sich ein in der DIN 45645-2 in der Fassung vom Juli 1997 beschriebenes Verfahren mit ein paar kleineren Anpassungen als alternatives Verfahren in die TRLV Lärm einbringen. Die Anwendung dieses Verfahrens ist allerdings auf tätigkeitsbezogene Messungen (Strategie 1) beschränkt.

 

Beim vereinfachten Verfahren nach TRLV Lärm sind für die Ermittlung der Genauigkeitsklasse nur die beiden folgenden Einflussfaktoren zu berücksichtigen:

− Genauigkeitsklasse des Messgerätes und

− Unsicherheit bei der Erfassung der längerfristig typischen Lärmexposition.

 

Die Zuordnung der Genauigkeitsklasse erfolgt, indem die beiden in Tabelle 2 eingetragenen Einflussfaktoren zunächst für sich betrachtet einer Genauigkeitsklasse zugeordnet werden. Die dabei festgestellte Klasse mit der größten Unsicherheit bestimmt schließlich die Genauigkeitsklasse des Lärmexpositionspegels.

 

Tabelle 2:    Festlegung der Genauigkeitsklasse in Abhängigkeit von der Klasse des Messgerätes
         und der geschätzten Unsicherheit für die Erfassung der längerfristig typischen
         Lärmexposition  (vereinfachtes Verfahren)

 

Genauigkeitsklasse

1

2

3

Messgerät nach DIN EN 61672 bzw. DIN EN 61252

Klasse 1

Klasse 1 oder Klasse 2

Klasse 1 oder Klasse 2

Geschätzte Unsicherheit bei der Erfassung der längerfristig typischen Lärmexposition

≤ 1,5 dB

     ≤ 3 dB

≤ 6 dB

 

 

Die Unsicherheit bei der Erfassung der längerfristig typischen (repräsentativen) Lärmexposition ist dabei aufgrund der Arbeitsplatzsituation in den drei Stufen ≤ 1,5 dB, ≤ 3 dB und ≤ 6 dB abzuschätzen. Diese Abschätzung erfordert eine gute Kenntnis der betrieblichen Abläufe auf der Grundlage einer sorgfältigen Arbeitsanalyse und ausreichende Erfahrungen in der Berechnung des Lärmexpositionspegels nach Strategie 1. Dabei ist abzuklären, inwieweit die am Tag der Messung erfasste Lärmsituation der über einen längeren Zeitraum üblichen Arbeitsplatzsituation entspricht und wie sich mögliche Abweichungen der Geräuschbelastung und der Belastungsdauern von einem Tag zum anderen auf den Lärmexpositionspegel auswirken können. Beispielsweise ist zu prüfen, ob je nach Arbeitstag gänzlich unterschiedliche Tätigkeiten anfallen oder täglich gleichartigen Tätigkeiten ausgeführt werden, z.B. bei Fließbandarbeit. Gibt es also eine große Unsicherheit bei der Erfassung der längerfristig typischen Lärmsituation oder kann man davon ausgehen, dass die am Messtag erfasste Geräuschsituation für einen längeren Zeitraum repräsentativ ist (d.h. kleine Unsicherheit).

 

Um Anhaltswerte für die Abschätzung dieser Unsicherheit zu erhalten, kann es sinnvoll sein, den Lärmexpositionspegel für denkbare höher und niedriger angesetzte Messwerte und verschiedene mögliche Tätigkeitsdauern zu berechnen. So zeigt sich, in welchem Maße das Ergebnis dadurch beeinflusst wird und wie zuverlässig die längerfristig typische Belastung erfasst werden kann. Im Zweifelsfall lassen sich jeweils ergänzende Messungen durchführen, um das Endergebnis besser abzusichern.


Grenzwertvergleich

 

Wie bereits im Zusammenhang mit der Vorgehensweise nach der früheren DIN 45645-2 (7/1997) [3] erläutert, werden den Genauigkeitsklassen 1, 2 und 3 für den Grenzwertvergleich die Unsicherheiten von 0 dB, 3 dB und 6 dB zugeordnet (siehe Tabelle 3).

 

Tabelle 3:  Beim Vergleich mit Auslösewerten zu berücksichtigende Unsicherheiten

Genauigkeitsklasse

1

2

3

Unsicherheit  Δ L                   (für Grenzwertvergleich)

0 dB

3 dB

6 dB

 

 

Beim Vergleich des ermittelten Lärmexpositionspegels LEX,8h mit Auslösewerten ist jeweils zu prüfen, ob der Auslösewert unterhalb, innerhalb oder oberhalb des Pegelbereiches LEX,8h  ± ΔL, d.h.

                     (LEX,8h - ΔL)       bis      (LEX,8h + ΔL )

liegt. Falls der Auslösewert unterhalb oder oberhalb dieses Pegelbereiches liegt, kann man feststellen, dass der Wert eindeutig über- oder unterschritten ist. Liegt der Auslösewert innerhalb dieses Pegelbereiches, ist keine eindeutige Entscheidung möglich. Nach der TRLV „Lärm“ ist dann von einer Überschreitung auszugehen.

 

 

Das zu Anfang dieser Fachinfo gezeigte Bild veranschaulicht den Vergleich mit einem Grenzwert für unterschiedliche angenommene Lärmexpositionspegel L bei einer Messunsicherheit ΔL.  Hier zeigt sich, dass bei Ergebnissen in der Nähe des Grenzwertes unter Berücksichtigung der Unsicherheit vielfach keine eindeutige Entscheidung möglich, ob der Grenzwert eingehalten oder überschritten wird. Liegt der Grenzwert innerhalb des durch das Messergebnis und die Unsicherheiten beschriebenen Pegelbereiches LEX,8h  ± ΔL gilt die Grenze nach TRLV Lärm als überschritten. Um das Ergebnis in diesen Fällen besser abzusichern, lassen sich natürlich auch zusätzliche Erhebungen anstellen, so dass die Bedingungen nach Genauigkeitsklasse 1 erreicht werden. Aufgrund der damit per Konvention vorgegebenen Unsicherheit von 0 dB kann man dann eindeutig entscheiden, ob der Grenzwert eingehalten wird.

 

Beispiel zum Vergleich mit Auslösewerten:

 

Gegeben:

Tages-Lärmexpositionspegel  LEX,8h  =  84 dB(A),

ermittelt nach Genauigkeitsklasse 2

 

Lösung:

Für die Genauigkeitsklasse 2 ist die Unsicherheit ΔL mit 3 dB(A) festgelegt (Konvention).

Damit gilt:

                    LEX,8h =  (84 ± 3) dB(A)

entsprechend einem Pegelbereich von 

            81 dB(A) ≤  LEX,8h  ≤  87 dB(A)

Zur Veranschaulichung des Vergleichs mit den Auslösewerten zeigt Bild 1 eine graphische Darstellung des Messergebnisses im Vergleich zu den Auslösewerten.

 

 

Bild 1: Darstellung des ermittelten Lärmexpositionspegels LEX,8h  =  84 dB(A) einschließlich Unsicherheit ΔL im Vergleich zu den Auslösewerten 

 

Diese Graphik zeigt, dass der untere Auslösewert von 80 dB(A) überschritten wird. Da der obere Auslösewert von 85 dB(A) innerhalb des Pegelbereiches LEX,8h  ± ΔL liegt, ist keine eindeutige Entscheidung über die Einhaltung dieses Grenzwertes möglich. Nach der TRLV „Lärm“ ist in diesem Fall von einer Überschreitung des oberen Auslösewertes von  85 dB(A) auszugehen.

 

Lässt sich der ermittelte Lärmexpositionspegel LEX,8h  von 84 dB(A) durch zusätzliche Messungen besser absichern und der Genauigkeitsklasse 1 zuordnen, gilt als Unsicherheit für den Grenzwertvergleich ein ΔL von 0 dB(A):

                                    LEX,8h    = (84 ± 0) dB(A)

Damit würde der obere Auslösewert von 85 dB(A) eingehalten.

 

 

Literatur 

[1]  DIN EN ISO 9612: Akustik – Bestimmung der Lärmexposition am Arbeitsplatz;
Verfahren der Genauigkeitsklasse 2 (Ingenieurverfahren). (September 2009)

 

[2]  Maue, J. H.: Lärmmessung im Betrieb – Anleitung zur normgerechten Ermitt­lung der Lärmexposition am Arbeitsplatz und der Geräuschemission von Ma­schinen. Erich Schmidt Verlag, Berlin 2011

 

[3]  DIN 45645-2: Ermittlung von Beurteilungspegeln aus Messungen; Teil 2: Geräuschimmissionen am Arbeitsplatz. (alte Fassung v. Juli 1997)

 

[4]  Lärmschutz-Arbeitsblatt LSA 01-400: Ermittlung des Lärmexpositionspegels am Arbeitsplatz. Ausgabe Oktober 2007; Bearbeiter: Dr. Jürgen H. Maue (liegt inzwischen als Neufassung 2019 vor)

 

[5] Technische Regeln zur Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung – TRLV Teil: Lärm. 1. Fassung: Gemeinsames Ministerialblatt Nr. 18–20/2010 vom 23. März 2010. Neufassung: Gemeinsames Ministerialblatt GMBI Nr. 34/35 vom 05.09.2017